Lieber fill (or kill),
in der ehemalige Ostzone gibt es eine Menge Wechselwähler. Unter Honecker (du weißt schon, im "Unrechtsstaat") wählten sie meist noch SED, nach der "Wende" dann die PDS, im jungen neuen Jahrtausend Die Linke und schließlich - also heute - die AfD. Letzteres geschah durch den kombinierten Einfluss von Schröders Agenda 2010 und Merkel Flüchtlingspolitik (2015 ff.).
Ich weiß, ich bin dir hier eine Erklärung schuldig. Es war so: Von Schröder und seinen Nachfolgern hatten die Ossi-Wechselwähler jahrelang gehört: "Wir müssen dringend sparen, es reicht nicht mehr für alle!". Das ist genau dieselbe Knappheitslüge, auf die du auch sonst immer so abfährst.
Das hatten die Ossis zunächst mal geglaubt oder zumindest die Kröte missmutig geschluckt.
Auch 2015 mussten die Ossi-Hartzer von Amts wegen immer noch sparen, weil es angeblich immer noch nicht reichte. Aber Merkel empfing nun plötzlich mit beidseitig ausgebreiteten Armen sämtliche Abgehängten aus Nah- und Fernost sowie Afrika - mit herzlicher Umarmung, gemeinsamen Selfies und vollmundigem Versprechen lebenslanger Vollversorgung und sonstiger Wohlstandserrungenschaften wie kostenloser Krankenversicherung (du weißt schon, "Asylpolitik").
Mehr noch: Merkel RIEF nun sogar nach mehr von ihnen, so dass möglichst Viele aus allen Winkeln der Welt nach D. strömen. In fernen Botschaften wurden sogar Filme gezeigt, wie toll sich das Leben in deutschen Asylantenheimen idealerweise darstellt.
Nicht ganz klar ausformuliert, aber sehr wohl in Merkels Hinterkopf vorhanden war dabei natürlich auch die Forderung, dass die neuen Einwanderer möglichst jung, fotogen (für Selfie mit Merkel), vor allem uneingeschränkt arbeitswillig sein sollten. Denn die deutsche Industrie musste trotz leer gefegten Arbeitsmarktes dringend viele Stellen neu besetzen.
Beim Attribut "arbeitswillig" galt freilich: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Denn ein Großteil der Flüchtlinge endete als Hartzer und befand sich fortan in Brosamen-Konkurrenz zu den in faktischer oder drohender Altersarmut darbenden Bio-Ossis.
Für den gemeinen Bio-Ossi stellten diese Geschehnisse eine ungeahnte Provokation dar, zumal die "Neuen" ja auch noch mit regelmäßigen Nachrichten von Übergriffen aller Art, Vergewaltigungen und Messerstechereien negativ auf sich aufmerksam machten. Die Ossis fragten sich: "Wozu haben wir uns eigentlich unser ganzes Leben abgerackert, uns immer anständig verhalten, hart gearbeitet und Steuern nebst Sozialabgaben bezahlt, nur um jetzt im Alter, wo wir auf den Staat angewiesen sind, von Merkel in jeder Hinsicht komplett an die Wand gedrückt zu werden?"
Provokant wirkte auf die armen Bio-Ossis vor allem, dass sie sich in den Jobcenter-Amtsstuben immer noch den altbekannten "Wir müssen dringend sparen"-Sermon anhören mussten, während für die Flüchtlinge keine frische Milliarde zu teuer war. Und dies, obwohl die Migranten zuvor nie einen Cent in hiesige Sozialsystem eingezahlt hatten. Und dies, obwohl einige von ihnen sogar obendrein unser Sozialssystem mit Mehrfach-IDs nach Strich und Faden ausnahmen.
Für die Flüchtlinge schien staatliches "Sparen" plötzlich überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Hauptsache die Industrie bekam endlich ihre dringend benötigen Arbeitskräfte. Z. B. DHL-Fahrer mit hanebüchenen Deutschkenntnissen, aber immerhin fleißig treppensteigend und ausliefernd. Ossi sprechen zwar fließend deutsch, sind aber überdurchschnittlich oft gehbehindert - und Treppen steigen ist auch nicht so richtig ihr Ding. Im einstigen "Unrechtsstaat" gab es ja bereits für bloßes Rumsitzen Geld.
Würdest du, lieber Fill, da nicht auch irgendwie das Gefühl bekommen, von "denen da oben" nach Strich und Faden verarscht zu werden? Und würdest du dich in deinem Frust dann nicht auch der vermeintlichen rechten Alternative zuwenden, die "Recht und Ordnung" endlich wieder herzustellen verheißt?
Übrigens waren die Ossis im dialektischen Materialismus nie sonderlich gebildet. Sie hatten nur das auswendig gelernt, was bei Prüfungen abgefragt wurde, aber den komplizieren Kram dann schnell wieder vergessen. Was ihnen heute wirklich unter den Nägeln brennt, sind ganz konkrete Probleme: Z. B. wo kriege ich das nächste Bier hier, wenn die Stütze schon fast alle ist?
Lieber Fill, erwarte daher nicht, dass es bei diesen Ossi ein wie auch immer geartetes "linkes Potenzial" gegeben hat oder noch gibt, das auf wie auch immer geartetet Weise intellektuell "adressiert" werden könnte mit politischen Botschaften (speziell deinem internationalen Solidaritäts-Quatsch).
Aus Sicht der Ossis stellte sich die Gemengelage einfach nur so dar, dass die Flüchtlinge nun vpr ihren Augen das Bier soffen, das sie sich nicht mehr leisten konnten. Und weil der Mensch, ein Mensch ist, drum will er was zu Saufen bittesehr!
"Recht und Ordnung", der große Traum dieser ihrer Heimaterde Entwurzelten, wird die AfD am Ende auch wieder herstellen. Allerdings zum (noch ausstehenden) Entsetzen der Alt-Ossis leider dergestalt, dass fortan nicht nur bei ihnen selbst weiter gespart wird - das eigene Elend sich also bruchlos fortsetzt -, sondern nun auch bei den Flüchtlingen. Niemand bekommt mehr Staatsknete für lau.
Denn das Geld wird schließlich dringend für Steuersenkungen für die Großindustriellen, die Hauptspender für die AfD, benötigt. Du weißt schon, sonst würde der Standort D. für "Investoren" schlichtweg seinen Anreiz verlieren, die ausländische Standordkonkurrenz schläft nicht - bläh blah blupp.
Außerdem kann die AfD von dem bei den Ossis und Flüchtlingen eingesparten Geld auch Presseorgane wie den "Sächsischen Anzeiger" (oder so) aufkaufen und ideologisch auf Linie trimmen. Damit unter der neuen AfD-Regierung etwaiger Aufruhr journalistisch gleich schön mit Parolen klein gehalten werden kann. Die Ossis hätten dann endlich ihren Unrechtsstaat zurück. Kannst du es ihnen wirklich verdenken?
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