Urgent Action10-jähriges Mädchen von Ehrenmord bedrohtAfghanistanUA-253/2014Index: ASA 11/013/201409. Oktober 2014BRISHNA, zehnjähriges Mädchen Frauenrechtlerinnen in Afghanistan: © Pajhwok Afghan NewsFrauenrechtlerinnen in Afghanistan: © Pajhwok http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-253-2014/10-jaehriges-maedchen-von-ehrenmord-bedroht?destination=node/5309&linkId=9996290 Die zehnjährige Brishna aus der Provinz Kunduz in Afghanistan wurde im Mai 2014 von einem Mullah vergewaltigt. Nun droht ihr der "Ehrenmord" durch Angehörige ihrer Familie und ihrer Gemeinde. Die Frauenrechtsaktivistin, die sich für Brishna einsetzt, erhält Morddrohungen.
Kurz nach ihrer Vergewaltigung am 1. Mai wurde Brishna mit Unterstützung der Frauenrechtsorganisation Women for Afghan Women in einem Krankenhaus behandelt. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, drohten Angehörige ihrer Familie und ihrer Gemeinde, sie zu töten. Die Leiterin des Frauenhauses von Women for Afghan Women, Dr. Hassina Sarwari, berichtete einem Journalisten, dass sie beim Abholen Brishnas aus dem Krankenhaus eine Tante des Mädchen traf, von der sie erfuhr, dass männliche Familienangehörige Brishna töten und in einen Fluss werfen wollten. Im Juli holte die Polizei Brishna aus dem Frauenhaus ab und brachte sie zurück zu ihrer Familie, obwohl sie sich dort in Lebensgefahr befindet.
Der Mullah, der Brishna vergewaltigt haben soll, wurde inzwischen festgenommen und wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen angeklagt. Er wurde in ein Gefängnis in Kabul verlegt, wo er auf den Beginn seines Gerichtsverfahrens wartet. Medizinische Tests bestätigen, dass Brishna noch nicht geschlechtsreif ist und brutal vergewaltigt wurde.
Opfern von Vergewaltigung droht der "Ehrenmord", da man ihnen vorwirft, sie hätten "Schande" über die Familie gebracht und werden eher als Täter_in denn als Opfer angesehen. Dr. Sarwari hat ebenso Morddrohungen von der Familie des Mädchens sowie religiösen Führungspersonen und einflussreichen Personen im Ort erhalten, weil sie sich für Brishna einsetzt. Sie erhält weiterhin Morddrohungen und fürchtet um ihr Leben. HINTERGRUNDINFORMATIONEN
In Afghanistan betrachtet man Mädchen und Frauen als Verkörperung der Familienehre. Oft sind sie diejenigen, die bestraft werden, wenn sie sich nach Ansicht anderer nicht an Bräuche und Traditionen halten oder die "Ehre" verletzen.
Frauen, von denen man annimmt, dass sie außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt hätten (zina), haben nach Ansicht vieler Afghan_innen Schande über die Familie gebracht. Ihnen droht der "Ehrenmord", entweder nach Beschluss von männlichen Familienangehörigen oder auf Anweisung des örtlichen Gemeinderats. Dieser besteht aus den männlichen Ältesten der Gemeinde.
Auch Opfern von Vergewaltigungen droht der Ehrenmord, da man ihnen vorwirft, die Familienehre beschmutzt zu haben. Man versteht sie eher als Täter_in denn als Opfer.
Die Diskriminierung von Frauen und die fehlende Unterscheidung zwischen der offiziellen und inoffiziellen Rechtsprechung werden in milden oder fehlenden strafrechtlichen Sanktionen für die Täter_innen der "Ehrenmorde" deutlich. Eine häufig akzeptierte Rechtfertigung der Tötung von Mädchen und Frauen ist die Berufung auf Ehre sowie Bräuche und Traditionen. Die meisten Fälle von "Ehrenmorden" kommen jedoch vor kein staatliches Gericht, da sich Familien eher an traditionelle Gerichte (shuras oder jirgas) wenden und sich nach deren Rechtsprechung richten.
Eine genaue Aussage darüber, wie viele Mädchen und Frauen Opfer von "Ehrenmorden" werden, ist schwer zu treffen. Laut der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission wurden im Zeitraum von Januar 2011 bis Mai 2013 insgesamt 243 Fälle von "Ehrenmorden" verzeichnet.
Derzeit werden "Ehrenmorde" nicht unter dem afghanischen Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen bestraft. Viel eher fallen sie unter Paragraph 394-397 des Strafgesetzbuchs, die die Verurteilung von Mordfällen regeln. Doch bei "Ehrenmorden" gelten mildernde Umstände, das Strafmaß beträgt dadurch höchstens zwei Jahre. SCHREIBEN SIE BITTE
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Ich fordere Sie dazu auf, zu gewährleisten, dass Brishna umfassenden Schutz des Staates erhält und dass alle nötigen Vorkehrungen getroffen werden, damit der "Ehrenmord" an ihr verhindert wird. Ich bitte Sie dafür zu sorgen, dass der mutmaßliche Täter in einem fairen Verfahren vor Gericht gestellt und dass kein Todesurteil verhängt wird. Bitte untersuchen Sie die Morddrohungen gegen Brishna, Dr. Sarwari und andere Frauenrechtsverteider_innen, die sich für Brishna einsetzen und bringen Sie mögliche Straftäter_innen vor Gericht, wenn ausreichend zulässige Beweismittel vorhanden sind. Bitte stellen Sie Dr. Sawari und anderen Frauenrechtsverteidiger_innen entsprechend ihrer Wünsche unverzüglichen und wirksamen Schutz zur Verfügung und erfüllen Sie ihre Pflicht Menschenrechtsverteidiger_innen zu schützen, wie es die UN-Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen von 1998 vorsieht. "Ehrenmorde" müssen als schwere Straftat behandelt werden. Bitte setzen Sie sich daher dafür ein, dass Paragraph 138 des afghanischen Strafgesetzbuchs aufgehoben wird, um gemilderte Urteilssprüche für Straftaten zur Wiederherstellung der Familienehre abzuschaffen.
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