Den Leser ungefiltert zu Wort kommen zu lassen ist ebenfalls viel zu anstrengend. Man ist dann ja plötzlich politischer Grundsatzkritik ausgeliefert. Leser, die der verordneten Hofmeinung widersprechen, säen nur Zweifel an der generellen politischen Marschrichtung des Blattes, gegen die sich die Redaktion dann aufwändig verteidigen muss. Eine unangenehme Situation. Denn früher hatten die Redakteure die alleinige Deutungs- und Meinungshoheit. Sie konnten ihre Hofmeinung bequem von oben nach unten durchdiktieren. Zwar gab es ab und zu einen erbosten Leserbrief. Doch den konnte man, wenn überhaupt, zwei Monate später beantworten bzw. abdrucken, wenn längst eine andere Sau durch's Dorf getrieben wurde.
Da macht man es doch besser gleich wie FAZ und SPON, die bei kontroversen Themen Leserkommentare gar nicht erst zulassen. Werden hingegen Kommentare erlaubt, greift die Zensur: Von der Hofmeinung abweichende Leserkommentare fallen dann gnadenlos durch die "redaktionelle Vorprüfung". IM Endergebnis wird nur der gefilterte Sermon der Ja-Sager durchgelassen. So entsteht die Illusion, die Zeitung bzw. das Magazin hätte wahrheitsgemäß berichtet, und sogar den Nerv der "passend" sich empörenden oder zustimmenden Leserschaft getroffen. Leserkommentare werden so zum Vorzeige-Echo der Hofmeinung verstümmelt. Die Redakteure haben recht, und die klugen Leser haben das erkannt. Obendrein ist der sozialmedialen Pflicht, sich der Öffentlichkeit zu stellen, scheinbar Genüge getan worden.
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