Wenn ich meine Investmententscheidungen auf Basis des KGVs tätigen würde, erröte mein Depot ganz schnell oder zumindest ich wegen all der verpassten Chancen. Es ist doch nur eine von vielen Kennzahlen und diese KGV-Gläubigkeit und Glorifizierung in Deutschland ist ganz fürchterlich. In allen Presseberichten ließt man davon und in den vielen Ariva-Foren wird ebenfalls vorzugsweise das KGV herangezogen um zu Pushen oder zu Bashen. Ich finde das oft zu einseitig und ist für mich gleichermaßen Symptom wie Ursache für die schlechte Aktienkultur in DE. Und nein, Balr, Back usw. fühlt euch nicht persönlich angegriffen ;-)
Es geht doch darum, zumindest als Investor, jene Kennzahlen herauszufinden, die zu zum Unternehmen passen und dafür am aussagekräftigsten sind. Beteiligungsunternehmen, wie Aurelius oder Rocket Internet, werden leider oft und gerne mit KGV analysiert, was aber idiotisch ist. Dort ist eher entscheidend der NAV, also der Wert ihres Portfolios, sowie Cashbestand und die investierten Summen. Und zudem sollten Anleger versuchen herauszufinden, wie exitwürdig und exithaltig die einzelnen Beteiligungen sind. Kein Journalist und bestimmt 99% aller Foristen haben mal wirklich den Geschäftsbericht von Aurelius oder RI gelesen. Sonst wüssten sie, wie abgesichert die ihre Investments tätigen und hätten auch mal was von der 80%-Regel bei RI gelesen... Aber ein anderes Thema.
Und wenn ich Konsumgüterfirmen anschauen würde, würde ich auch eher auf Absatz- und Marketingzahlen schauen und dann erst alles andere.
Ich bin bei Wirecard nicht drin, weil die Acquiring und Issuing machen. Oder weil zunehmend bargeldlos bezahlt wird. Unter diesen Aspekten könnte ich auch bei Adyen oder bei Rocket Internet oder der FinTech Group investiert sein. Nein, mir war und ist wichtig, bei einem Skalierungsunternehmen dabei zu sein. Ich schaue also auf die Gewinnmargen (angefangen beim Ebitda) um zu sehen, wie viel von jedem Euro Umsatz als Profit hängenbleibt. Und es interessiert mich, ob die Gewinne schneller wachsen, als der Umsatz. Zumindest im Einklang. Hinzu kommen die Netzwerkeffekte. Ich will wissen, dass a) die Kundenbasis immer weiter zunimmt und b) keine Kunden weggehen, sondern dabeibleiben. Und weil Wirecard noch "organische Daten" gibt, kann ich einschätzen, wie viel aus eigener Kraft kommt, und was nicht. Dies sind für mich die interessanten Kennzahlen, denn nur durch Skalierung und Kundenzufriedenheit kommt das ganze Perpetuum-Mobile der Tech Giganten wie Alphabet und Amazon in Fahrt. Und einmal in Fahrt, hört es nie auf.
Das KGV hingegen nehme ich nur zur Kenntnis. Es ist ja nicht gänzlich sinnlos, nur eben zu unternehmensunspezifisch. Und es hat was von Willkür. Mal ist ein KGV von 10-12 i.O., mal eines von 15, dann wieder von 20. Mal warnt einer schon bei einem KGV von 30 vor der Blase, manchmal erst bei einem KGV von 60, mal wird das dann ignoriert, mal wird es berücksichtigt. Ja, was denn nun? Da ich nicht aus der Finanzbranche komme, habe ich auch keinen Faible für rein finanzwirtschaftliche Zahlen. Mich interessiert deutlich mehr an einem Unternehmen und daher geht jedem Investment ein umfassender Blick in die Berichte voraus. Nicht nur auf den Kurs und den Gewinn. Das KGV ist sowas wie ein Breitbandantibiotikum und seht, wohin es führt...
Ich gönne jedem das KGV und mir die umfassende Lektüre der IR-Dokumente ;-)
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